Vernissage
Angelika Wischermanns Spurensuche
Angelika Wischermann öffnet mit ihren Arbeiten und poetischen Setzungen Räume der Reflexion, in denen sie die Beziehung zwischen Mensch, Körper und Umwelt performativ erforscht. Einschnitte, Ausgelöffelt oder Durchgekaut – so lauten dieTitel einiger Arbeiten in der Ausstellung und veranschaulichen deren aktiven, prozessualen Charakter. Sie bezeichnen vertraute Alltagsgegenstände –abgenützte Schneidebretter, abgeriebene Silberlöffel, durchgekaute Kaugummis an der Unterseite eines Tisches und Stuhls –, die Spuren von Wischermanns intensivenHandlungen und Langzeitperformances tragen. Diese künstlerischen Prozesse sind Setzungen, die auf die Eigenschaften des Materials und die Funktion derObjekte eingehen. Derartig „obsessive“ künstlerische Aktionen erfordernAusdauer und körperliche Disziplin; Zeit und Wiederholung sind zentraleWerkzeuge.
Es geht also nicht um den Abdruck des Körpers der Künstlerin als Beweis ihrer Anwesenheit, sondern um die Spuren eines Transformationsprozesses, den Wischermann bewusst initiiert hat. Dabei setzt sie keine Handlungen im Sinne eines gestallten Wollens, einer ästhetischenSetzung, die es aus dem Material herauszulösen gilt. Nicht die singuläre künstlerische Form steht im Vordergrund, sondern die Gegenstände zeugen von ihrer eigenen „Gemachtheit“ und den körperlichen Handlungen, die zu dieser Form geführt haben.
Mit der Arbeit Bleiglanz veranschaulicht die Künstlerin ihren kontinuierlichen Arbeitsprozess während der Dauer derAusstellung in Form einer wachsenden Arbeit. Jede Woche bemalt sie einen in der Natur gefunden Stein mit Bleistift, und trägt so eine dünne Schicht Graphit auf. Als Dokumente oder Spuren dieser Bearbeitung präsentiert sie nicht die Steine selbst – diese bleiben in der Natur –, sondern die gesammelten Stiftspäne. Wie geologische Artefakte werden sie in Gläsern präsentiert und jede Woche ein weiteres Exemplar befüllt. Seit Jahrtausenden ist das Graphit untrennbar mit der Kulturtechnik des Schreibens verbunden, selbst der Name Graphit leitet sich aus dem altgriechischen γράφειν (graphein) für schreiben ab. Die Ressource Graphit wird mittels Bergbau extrahiert und industriell verarbeitet. Wischermann führt das Material zurück in die Natur, indem sie die Steine „beschreibt“.
Angelika Wischermanns ortsspezifische Interventionen und performative Handlungen lassen sich als körperliche künstlerische Forschung verstehen, um sie mit bestimmten Gegenständen, geologischen ebenso wie industriell gefertigten, in Beziehung zu setzen. Im Sinne des „New Materialism“ begreift die Künstlerin Dinge dabei als Akteure, die ebenso Einfluss auf uns Menschen haben und sich in unsere Körper einschreiben. So ließe sich von einer künstlerischen „Erkundung der gemeinsamen Welten“[1] sprechen. Wischermann lädt uns ein, über die eigene Präsenz und die Spuren, die wir Menschen in unserer Umwelt hinterlassen, nachzudenken. Das von ihr auf- oder abgetragene Material repräsentiert menschliche Eingriffe, und macht Interaktion auf einer Mikroebene nachvollziehbar. Hierin liegt auch die Analogie zum Bergbau, mit dem die Geschichte der Silberstadt Schwaz so eng verbunden ist, und in dem sich die Sphären von Natur, Kultur und Technik irreversibel durchdringen. Denn auch nach dem Ende des Silberabbaus trägt die Landschaft sichtbare Spuren des menschlichen Handelns, und die lokale Kultur ist nach wie vor von dieser Geschichte geprägt.
[1] Bruno Latour, Das Parlament der Dinge. Füreine politische Ökologie, 2001, S. 233.
Text: Georgia Holz
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