Ausstellung
Aufnahmen der Normalität
Vanessa Beecroft, Rineke Dijkstra, Jeanne Dunning, Christine & Irene Hohenbüchler
-
1996 stellte Vera Vogelsberger fünf Künstlerinnen aus, die alle seither sehr erfolgreich waren und international Karriere machten. Rineke Dijkstra (Amsterdam), Jeanne Dunning (Chicago), Vanessa Beecroft (Mailand) und die Zwillingsschwestern Christine und Irene Hohenbüchler (Wien) sind mittlerweile in zahlreichen großen Ausstellungshäusern vertreten und wurden in wichtigen internationalen Ausstellungen mit diesem sehr problematischen Wort operiert, das 'Andere' hier als Normalität definiert.
Fünf Künstlerinnen zeigten ihre Aufnahmen der Normalität - dabei wurde von gesellschaftlichen Phänomenen auf private Momente gezoomt.
Vanessa Beecroft
Die neun präsentierten Fotografien dokumentierten die Performance Ein Blonder Traum, die in der Galerie Schipper & Krome (Köln) 1994 stattgefunden hatte. 30 Frauen mit (schlecht sitzenden) blonden Perücken, unterschiedlich gekleidet, altmodische Unterwäsche kombiniert mit uniformähnlichen, hochgeschlossenen Oberteilen, waren in der Galerie stehend, sitzend oder an die Wand gelehnt drapiert. Sie blickten teilnahmslos, einige rührten sich nicht von der Stelle, andere bewegten sich durch den Raum. Als Initial wurde die Rolle von Edmund, dem Antihelden in Roberto Rosselinis Film Deutschland im Jahre Null (1947/48) vorgegeben. Verdreissigtfacht, entindividualisiert versackt das 'Vorbild', weiterführende Ziele existieren nicht.
In den Fotografien wurde der Moment der Richtungslosigkeit, des Nichtwissens, des Ziellosen festgehalten. Dieser Moment betraf auch die BetrachterInnen der Performance. Auch sie wussten nicht um ihre Rolle, fühlten sich 'abnormal', waren vielleicht peinlich berührt und irrten ebenso ziellos herum.
Rineke Dijkstra
Die sechs Portraits zeigten namenlose, junge Menschen an Stränden in Europa und den USA. Dijkstra monumentalisierte Personen an der Schwelle von Kindheit zum Erwachsensein, die Unsicherheit der Pose vermittelte im Kontrast dazu Intimität, Innenwelt und Außenraum. Öffentlichkeit und Privates wurden durch das Licht - Verwendung von Blitzlicht am kulissenhaften Strand - verschränkt. Melancholischer Realismus, existenzielle Einsamkeit, kein Lächeln, keine Verbindlichkeit gelangten zum Ausdruck.
Jeanne Dunning
Die vier Fotografien der Künstlerin richteten einen direkten Zoom auf 'Orte' des menschlichen Körpers, wie Ohren, Kniekehle oder Mund. Auf den ersten Blick identifiziert die/der BetrachterIn Bekanntes - und schreckt dann, dem eigenen Voyeurismus begegnend, irritiert zurück. Einerseits entfremdet Dunning durch Überzeichnung, andererseits erweckt sie den Eindruck von Vertrauen durch Hinzufügung von Anomalien an eine scheinbar 'normale' Situation. Fragmente des Biologischen werden zu Orten, an denen gesellschaftliche Vorstellungen und Zwänge ablesbar sind und differenzierte Betrachtungsweisen freisetzen.
Christine und Irene Hohenbüchler
Licht, Dias, Texte, Photos, Pläne, Vitrinen, Tagebuchaufzeichnungen - Christine und Irene Hohenbüchler erweiterten zweidimensionale Medien durch Ausbuchtungen und Raumbindungen zu komplexen Strukturen. "Was wir normal nennen, ist ein Produkt von Verdrängung, Verleugnung, Isolierung, Projektion und anderen Formen destruktiver Aktion gegen die Erfahrung. Sie ist radikal der STRUKTUR des SEINS entfremdet."*
*Christine, Irene und Heidemarie Hohenbüchler, CH1 1992-95. Stuttgart Okatagon 1995, S.21
Text: Andrea Hörl