Ausstellung
Formen des Auswurfs
Nicola Brunnhuber, Martin Creed, Michaela Eichwald, Ursula Hübner, Till Megerle, Marlie Mul, Florian Pfaffenberger, Amelie von Wulffen | Kuratiert von Cosima Rainer
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Die Ausstellung „Formen des Auswurfs“ fokussiert auf das „dunkle Dickicht“ in der aktuellen künstlerischen Produktion, in der es nicht mehr um hygienische Abstraktionen oder normative Schönheitsverständnisse geht, sondern um Formen der Auflösung und um eine Akzeptanz des Scheiterns und des Schmutzes. In demonstrativer Abkehr vom seit der Antike geltenden Idealismus der Kunst als Ausdruck des Geistes, wird hier die peinliche, lächerliche und auswuchernde Seite künstlerischer Subjektivierung und Produktion thematisiert. Nachdem expressive Individualität und Authentizität heute mehr und mehr zum Anforderungskatalog der spätkapitalistischen Kreativgesellschaft gehören, kann diese künstlerische Abkehr symptomatisch für die Spannungen unsere Zeit gelesen werden.
Die Ausstellung zeigt Werke von KünstlerInnen, die diesen Ideen der Kreativität und des Selbstausdrucks nurmehr distanziert und humorvoll gegenüberstehen. Ausgehend von der Einladungskarte, die ein ins Kinderspiel herunterdimensioniertes Bild des Künstlers als Quelle bzw. als Fountain zeigt, der in Paraphrase auf ein berühmtes Werk von Bruce Nauman mythische Weisheiten offenbart, präsentiert die Gruppenausstellung sieben künstlerische Positionen, die in diesem Spannungsfeld agieren und das hegemoniale kreative Selbst unterlaufen. Mit Bezug auf den französischen Schriftsteller und Philosophen Georges Bataille, der mit seinem Konzept des „informe“, bzw. des Entformenden eine der radikalsten anti-ästhetischen Positionen bezogen hat, werden in der Ausstellung Arbeiten gezeigt, die sich meist ganz buchstäblich mit dem Auswurf, dem Aufweichen, dem Ausfließen und dem Zersetzen von Subjektivierungsformen befassen.
In den mitunter skulptural wuchernden Bildwerken von Florian Pfaffenberger (*1984) zerbrechen sich beispielsweise Teekannen und Zuckerdosen den Kopf über ihren Bildinhalt, der jedoch jederzeit ausgeschüttet werden kann oder eh schon wegfließt, weil ein neues Bild im Bild aufgeht. Die Arbeit der Formen, oder der Prozess, dass eine Form eine andere schluckt und wieder auswirft, ist in Pfaffenbergers Bildwerken ununterbrochen im Gange. Ähnlich einem psychedelischen Rauschzustand verwandeln sich alltägliche Objekte in Bild-Charaktere, die zwischen Trash- und Hochkultur changieren. In den Bildern werden humorvoll Überlagerungsprozesse verhandelt, die mit künstlerischer Subjektivierung in Zeiten eines ideologischen Optimierungsparadigmas verknüpft sind.
In den gebeamten Zeichnungen von Amelie von Wulffen (*1966) wiederum gleiten die Versatzstücke einer heroischen Künstlerbiographie in Albträume ab. Skurrile Phantasmen, wie man sie aus Träumen kennt, nehmen darin ausufernde Formen an. So lösen sich Teile ihres Körpers und ihr Haus plötzlich auf und als Vagabundin muss sie von Ort zu Ort ziehen und ihre Zeichnungen einfachen Bauern und Arbeitern, präsentieren. In einer anderen Episode nimmt sie frustriert einen Telefonanruf entgegen, in dem ihre Schwester, die Hausfrau und Mutter ist, verkündet, dass sie als Teilnehmerin zur documenta eingeladen wurde. Aber auch banale Ängste wie das Sitzen am falschen Tisch beim Eröffnungsessen, werden im gezeichneten Traumtagebuch von Amelie von Wulffen zu existenziellen Gefährdungen. In einer exhibitionistischen Tour de Force öffnet sie den Blick auf monströse innere Abgründe, die mit der Realität des kompetitiven Kunstfelds in Beziehung stehen.
Marlie Mul (*1980) hingegen hat mit den Drippings von Jackson Pollock einen kunsthistorischen Vorläufer der heutigen Auswurf-Malerei aufgegriffen. Sie nennt ihre raumgreifende, farbig bespritzte Popcorn-Tüten-Installation „Poppin Pollock“. Die aufgeplatzten bekleckerten Tüten und chaotisch herumliegende Popkorns, die sie wie Pollock deterritorialisierend horizontal im Raum verteilt, werden über Lautsprecher von knackenden Kaugeräuschen begleitet, die den Pathos, mit dem Pollocks Körperseismogramme theoretisch aufgeladen wurden, wieder in die Banalität der Verdauung zurückführt. Ebenso entsteht eine Verbindung zu trashiger Konsum- und Fankultur, die durch Zersetzungsprozesse ihre Ideale ähnlich einverleibt und weiterverarbeitet.
In gewisser Weise knüpft auch Martin Creeds (*1968) Video-Installation „Sickfilm“ an die Tradition der Körper-Drippings an, die von Pollock bis zu den Piss-Bildern von Andy Warhol reicht. Das entgrenzt Kosmische des Auswurfs bei Pollock wird in der Trashversion von Martin Creeds in die Gegenwart übertragen. Seine Video-Installation zeigt vier Personen, die sich in einem hygienisch sauberen White Cube übergeben und farbigen Auswurf kotzen. Creed zeigt in seiner nüchternen konzeptuellen Manier nicht nur eine direkte Form von Raummalerei, sondern entspricht auch einer allgemeinen Erwartungshaltungen an Kunst: „Das Innere nach Außen zu kehren“ ist immer noch ein Mythos, ein Versprechen und in diesem Fall auch eine Drohung, die mit Kunstmachen verbunden ist.
Nicola Brunnhubers (*1980) Beitrag zur Ausstellung hingegen umgeht jeglichen persönlichen Ausdruck zur Gänze. Brunnhuber verweigert konzeptuell sogenannte „Atelierpraxis“, die künstlerisches Schaffen traditionell bedingt. Seine „Arbeiten“ entstehen nur sehr spärlich nebenbei oder im Anlassfall einer Ausstellung. Nieder bewertete Objekte wie ein Wischmopp, Plastiksackerl oder subkulturelle Trash-Ikonen tauchen als Elemente seiner Formensprache auf. Im Rahmen der Ausstellung zeigt er Zeichnungen seines Künstlerfreundes Till Megerle (*1979), der sich mit Batailles Thesen und seinem Text „Der große Zeh“ bereits früher beschäftigt hat.
Michaela Eichwald (*1967) wiederum arbeitet mit den Klischees von malerischer Expressivität. Ihre abstrakten Gemälde, die oft mit einem Überwältigungsgestus operieren, spielen mit den Rhetoriken der Malereigeschichte. Gezielt setzt sie authentisch expressiv wirkende Gesten ein und konterkariert sie durch eine höchst artifizielle Materialsprache, ungewöhnliche Formate und narrativen Collage-Elemente. Durch den Einsatz eines verwirrenden Aufgebots an Materialien und Techniken erzeugt sie widersprüchliche und geradezu abjekte Form- und Farbkombinationen, in denen es immer auch um die Imitation und Digestion von scheinbar „Echtem“ und Eigentlichem geht. Ihre an verschmierte Servietten und Darmwindungen erinnernden Bilddetails lassen auch Assoziationen zu Verdauungsprozessen und Ausscheidungsformen zu.
In Ursula Hübners (*1957) Portraitserie R.O. trifft man vor luftigen, meist hellblauen Hintergründe auf groteske Kopf- und Gesichtsformen, die sich aus Sumpfblüten, Pilzen und Schlingpflanzen prekär zusammenwuchern. Die Gesichtszüge sind nicht kompakt, sondern nur in Details deutlich. Viele Stellen bleiben leer und durchscheinend, an anderen Stellen wiederum verdichtet sich scheinbar das Leben. Modriger Zerfall und gedüngtes Wachstum gehen in diesen Bildern wie in einem Kompost-Biotop ineinander über. Die Portraits, die im Titel jeweils durch einen anderen Vornamen individualisiert sind, können als surreale Stimmungsbilder gelesen werden, die vermitteln, wie eine scheinbar feste Persönlichkeit ins Schwimmen gerät, zerfließt und sich ihre Gestalt auflöst. Affekte des Niederen und Abstoßenden, wie sie von Bataille in seiner Kritik an der menschlichen Figur und dem Anthropomorphismus vorgebracht wurden, werden hier gekonnt eingesetzt, um den Rest zu thematisieren, der als Teil von Subjektivierungsprozessen verdrängt wird.
Kuratorische Assistenz: Bianca Moser
Text: Cosima Rainer
Fotos © WEST. Fotostudio