Ausstellung
Schwer soll er am Boden aufliegen, aber auch nicht zu schwer, damit sich nicht in den auftürmenden Hügellandschaften des Stoffes Staubknäuel ansammeln könnten. Ordentlich drapiert, schon etwas hermachen soll er – der Vorhang. Nicht zu herrschaftlich, eher fein, damit die Marmorierung zur Geltung kommt. Eine Effekthascherei vielleicht, aber nicht zu aufmüpfig. Das Sonnenlicht von draußen weiß ohnehin seine Darbietung perfekt in Szene zu setzen und blinzelt schon durch die Fensterscheiben. Und so könnte die Kulisse nicht besser sein. Der Vorhang selbst entzieht sich seiner Zuordnung und will jetzt einfach nur Vorhang sein. Er will weder verbergen noch offenbaren, enthüllen noch weisen, etwas Ausdrücken oder womöglich noch ein distinktives Merkmal aufzeigen. Das wäre ja noch schöner. Nein, er will fest sein, ohne Zuschreibung. Er will Körper sein. Dreidimensional im Raum, nicht wegen seiner Funktion, vielmehr wegen seiner Erscheinung. Eitel, dominant und zierlich zugleich. Dabei ist die Bühne wie für ihn gemacht. Aber davon will er nichts wissen.
Mit vornehmlicher Zurückhaltung zeigen sich marmorierte Gebilde an den Wänden über dem 500 Jahre alten Steinboden. Die Malereien mit ihren ausufernden, mäanderartigen Mustern in sanften Grautönen zeigen keine klar erkennbare Struktur. Sie bilden die Ouvertüre dieser Oper in drei Akten. Das Einzige, das zur vermeintlichen Ordnung aufruft, sind kleine Stoffbahnen, fein säuberlich in Manier der Paspelbänder oder des Biesenlegens genäht. Knoten in blumenhafterweise als Teil des Dekorums. Sie nehmen die Einladung des Vorhangs vorweg. Und obwohl ihr Zweck zur Einkehr der Ruhe dient, unterstreichen sie auf vorzügliche Weise das marmorierte Durcheinander.
Aus dem Off keucht es schwer: „Ah! Tutto, tutto fini, or tutto, tutto fini.“[1] Und ganz kann er sich, der Vorhang, von der Tragik wohl doch nicht lösen, verharrt erneut wieder rasch in seiner Pose. Die anderen nehmen das mit Humor, vor allem die Knoten, welche verspielt auf den Malereien tüpfeln. Sie wirken verträumt, erinnern an Haargummis, die es in den unterschiedlichsten Farben und Mustern gibt. Hier noch klein und scherzend, erheben sie sich ein paar Ecken weiter selbst zu eigenständigen Gebilden. Verweisen auf etwas urzeitliches in thronender Erhabenheit. Die Marmorierung dient ihnen als Kostüm. Sie verleiht den Knoten etwas Lebendiges. Der Faltenwurf des verwobenen Körpers zeigt sich theatralisch und gipfelt in der Verschlingung des Stoffes, dem eigentlichen Knoten.
Der Chor tritt auf. Einer leidenschaftlichen Verheißung innewohnend, sträuben sich die Härchen zu Berge. Die Erwartungshaltung hat ihren Höhepunkt erreicht. Getuschel und Gemunkel ist zu hören: “Teneste la promessa, teneste la promessa“. Die Härchen biegen und winden sich durch eine Cappyöffnung hindurch. Es sind die feinsten, die zartesten. Ihr Einsatz erschallt im Sopran. Dazwischen ertönt es wieder aus den hinteren Räumen in schwerem Klang: „Ah! Tutto, tutto fini, or tutto, tutto fini.“ Der Kopf mit den zerzausten Haarknötchen scheint es eilig zu haben. In orangerotfarbenem Licht tritt er immer wieder aus dem Bild. Die Knötchen übernehmen die Hauptrolle und präsentieren sich zwischen architektonischen Fassaden, Säulen und verschwommenen, teils düsteren Landschaften, bis sie sich loslösen aus ihrer gewohnten Umgebung und - wie im ständigen Rad der Zeit - ineinander verweben. „Addio del passato“[2] rauscht es aus ihrer Bewegung heraus. „Addio.“
- Nadja Ayoub
[1] Verdi, LaTraviata, Atto III, Scena 1
[2] Verdi, LaTraviata, Atto III, Scena 2
Bild © Lena Sieder-Semlitsch
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